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Der Europäische Gerichtshof hat entschieden: Der Weiterverkauf von Software ist auch dann legal, wenn sie im Rahmen einer dauerhaften Nutzungslizenz erworben und aus dem Netz heruntergeladen wurde. Das Urteil könnte auch den rechtlichen Umgang mit MP3s und E-Books revolutionieren. Software darf unabhängig davon weiterveräußert werden, ob sie auf einem physischen Datenträger ausgeliefert oder aus dem Internet heruntergeladen wird. Mit seinem Urteil im Streit zwischen den Unternehmen Usedsoft und Oracle hat der Europäische Gerichtshof ein wesentliches urheberrechtliches Prinzip auf die digitale Welt übertragen. Es ist eine revolutionäre Entscheidung für die Informationsgesellschaft.
Software stellt heutzutage häufig einen großen Teil der Vermögenswerte eines Unternehmens dar. Entsprechend bedeutend ist die Frage, ob sie weiterverkauft werden kann, ob man also den "Gebrauchtwert" von Software-Lizenzen realisieren kann. Bislang war nur klar, dass ein Weiterverkauf zulässig ist, wenn man die Software auf einem Datenträger erworben hat. Heutzutage werden beim Software-Handel aber vor allem an Unternehmen nicht mehr hunderte von CD-ROMs verkauft. Die Software wird vielmehr zum Download bereitgestellt und das Unternehmen erwirbt "Lizenzen" (also Nutzungsrechte) in der benötigte Anzahl. Ob bei diesem Modell die gleiche Rechtslage in Bezug auf die Weiterveräußerung gilt, war bis heute unklar. Diese Frage hat erheblich über den vom EuGH entschiedenen Fall hinausgehende Bedeutung. Sie ist auch für Verbraucher äußerst relevant, die ihre Software, Games, Musik oder Filme weiterverkaufen möchten. Auch solche Inhalte werden heutzutage zunehmend in unkörperlicher Form (per Download) gehandelt und nicht mehr auf Daten-, Ton- oder Bildträgern. Entsprechend ist die Frage, ob Dateien ebenso weiterverkauft werden dürfen, wie CDs oder BlueRay-Discs, für die Konsumenten äußerst wichtig. Will ich zum Beispiel meine über Jahre zusammengetragene Hip-Hop-Plattensammlung verkaufen, weil ich mich zukünftig eher auf Electro konzentrieren möchte, darf ich das. Ob das gleiche für meine Download-Sammlung gilt, für die ich schließlich auch eine Menge Geld bezahlt habe, war immer unklar. Der EuGH hat nun für Software entschieden, dass
die Regeln der körperlichen Welt auch für die unkörperliche Welt gelten. Der
Entscheidung sind grundsätzliche Aussagen zum Online-Handel zu entnehmen, die
darauf schließen lassen, dass für Musik, Filme oder eBooks nichts anderes
gelten kann. In einem zentralen Punkt des Urteils geht es um die Frage, ob es sich bei dem Online-Erwerb einer Software-Datei um einen Kauf oder einen reinen Lizenzvertrag handelt. Die Rechtswissenschaft hat sich seit Jahren über diesen Punkt gestritten. Die Wirtschaft hatte sich immer auf den Standpunkt gestellt, dass es beim Erwerb einer unkörperlichen Werkkopie (Musikdatei, Computerprogramm, E-Book etc.) nicht um einen Kauf, sondern einen Lizenzvertrag handelt. Der Unterschied ist von erheblicher Bedeutung. Bei einem Kauf wird der Erwerber Eigentümer der Kopie. Bei einem Lizenzvertrag erhält er nur (mehr oder weniger erheblich beschränkte) Nutzungsrechte an dem jeweiligen Inhalt. Wird beim Erwerb Eigentum übertragen hat der Erwerber als Eigentümer weitgehende Rechte an dem Kaufgegenstand, die ihm auch nicht ohne weiteres verwehrt werden können - zum Beispiel durch die Nutzungsbedingungen. Eine Nutzungslizenz kann dagegen annähernd beliebig beschränkt werden, zum Beispiel indem der Weiterverkauf des Nutzungsrechts untersagt wird. Der EuGH hat nun - einigermaßen überraschend -
ganz klar gestellt, dass die Veräußerung von urheberrechtlich geschützten
Werkexemplaren einen Kauf darstellt und dass der Erwerber Eigentümer der Kopie
wird. Dies gelte unabhängig davon, ob der Kunde eine Datei oder eine physische
Kopie erhält. Voraussetzung ist, dass die Datei zur dauerhaften Nutzung, also
nicht etwa nur verliehen, vermietet oder zur zeitlich begrenzten Nutzung
überlassen wird. Das ist bei Computerprogrammen (vor allem im
Verbraucherverkehr) in aller Regel der Fall, ebenso beim Erwerb von Musikdateien
oder Downloads von Filmen und E-Books. Dass auf physischen Medien vertriebene Kopien ohne weiteres weiterverkauft werden dürfen, nachdem sie erstmals vom Rechteinhaber auf dem europäischen Markt in den Verkehr gebracht wurden, liegt am so genannten Erschöpfungsgrundsatz. Er besagt konkret, dass sich das Verbreitungsrecht nach dem ersten In-Verkehr-Bringen in der EU erschöpft, also entfällt. Damit kann die jeweilige Kopie auf den weiteren Handelsstufen frei vertrieben werden. Plattenbörsen oder auch eBay-Verkäufe gebrauchter Tonträger, Games oder Computerprogrammen werden so erst ermöglicht. Grund für den Erschöpfungsgrundsatz ist die Erwägung, dass der Hersteller solche nachgelagerten Märkte nicht kontrollieren und steuern können, indem sie Weiterverkäufe untersagen oder hierfür Geld verlangen. Der Erschöpfungsgrundsatz schützt damit unter anderem den freien Binnenmarkt und stellt insofern ein wesentliches Regelungsprinzip des Urheberrechts dar. Diese Wertung gilt nach der EuGH-Entscheidung unabhängig davon, ob es um den Handel mit körperlichen oder unkörperlichen Werkkopien geht. Auch aus wirtschaftlicher Sicht seien die Fälle vergleichbar. Dem Einwand der Industrie, ein Gebrauchtmarkt von Dateien sei unkontrollierbar und würde zu Piraterie führen, die man nicht eindämmen könne, erteilt der EuGH eine Absage. Der Rechteinhaber könne sich beim Erstverkauf eine angemessene Vergütung sichern. Eine darüber hinaus gehende Befugnis, die Weiterveräußerung zu verhindern oder zu kontrollieren, sei nicht angemessen: "Eine solche Beschränkung des Wiederverkaufs von aus dem Internet heruntergeladenen Programmkopien ginge über das zur Wahrung des spezifischen Gegenstands des fraglichen geistigen Eigentums Erforderliche hinaus." statuiert der Europäische Gerichtshof. An diesen Wertungen wird ein subtiler, aber wesentlicher Punkt deutlich: Der EuGH erkennt an, dass der Erwerber einer Werkkopie ein schützenswertes Interesse als Eigentümer hat. Der Erschöpfungsgrundsatz dient damit auch und vor allem seinem Interesse und nicht nur - wie es der Bundesgerichtshof in der Vorlageentscheidung impliziert hat - dem "Verkehrsschutz", also dem freien Handel an sich. Ein weiterer Punkt, der aus juristischer Sicht
wichtig ist, liegt in der rechtlichen Einordnung der Veräußerung im
Online-Bereich. Nach dem EuGH fällt ein Angebot, dem Nutzer eine unkörperliche
Kopie zur dauerhaften Nutzung zu überlassen, unter das Verbreitungsrecht, nicht
unter das "Recht der öffentlichen Zugänglichmachung". Aus Sicht des
Juristen ist dies eine überraschende Entscheidung, bislang war man immer von
letzterem ausgegangen. Der Unterschied ist für die Anwendung des
Erschöpfungsgrundsatzes von grundlegender Bedeutung, weil er sich nur auf das
Verbreitungsrecht bezieht, nicht auf das Online-Recht. Ein weiterer wichtiger Punkt bei Gebrauchtsoftware ist, woher der Zweitererwerber das Recht bekommt, die Software dann auch zu verwenden. Noch der Generalanwalt Yves Bot, der die EuGH-Entscheidung in dem Usedsoft-Verfahren vorbereitet hatte, wollte hier aus dem Grundsatzurteil einen Papiertiger machen. Vereinfacht ausgedrückt war dessen Beurteilung, dass man die Kopie zwar weiterverkaufen, der Erwerber sie aber nicht nutzen darf. Denn für die Nutzung von Dateien muss man Vervielfältigungen machen (bei Software: Installation auf dem Rechner, Kopien im Arbeitsspeicher usw.), diese Vervielfältigungen seien aber vom Erschöpfungsgrundsatz nicht abgedeckt. Der EuGH sieht das anders: Er entschied, dass der Erwerber gar kein Vervielfältigungsrecht vom Rechteinhaber braucht. Die Software einfach ablaufen zu lassen, ist eine "bestimmungsgemäße Benutzung", die jeder rechtmäßige Nutzer schon nach dem Gesetz vornehmen darf. Das bedeutet, dass der Zweiterwerber gar keine Lizenz vom Anbieter benötigt, um das Programm zu verwenden. Entsprechend muss er den Rechteinhaber auch nicht fragen, ob er das gebraucht gekaufte Programm dann auch einsetzen darf. Die einzig konsequente Lösung, die übrigens von der Rechtsliteratur auch seit langer Zeit so vertreten wird. Keine Aufspaltung von Volumenlizenzen Eine Besonderheit des Usedsoft-Falls betrifft die
Frage, ob so genannten Volumenlizenzen in Teilen weiterverkauft werden dürfen.
Der EuGH hat das verneint. Für Usedsoft-Anbieter ist das ein wichtiger Punkt.
Unternehmen erwerben durch einen Lizenzvertrag häufig nicht einzelne
Nutzungsrechte, sondern ganze Pakete (zum Beispiel hundertmal Microsoft Office).
Der EuGH sagt, dass es nicht zulässig ist, diese Pakete in kleineren Teilen
weiterzuverkaufen, sie müssen also "am Stück" veräußert werden.
Gerade im Gebrauchtsoftware-Handel ist diese Aufspaltung aber ein wichtiger
Aspekt, sie gibt Händlern und Kunden größere Flexibilität und eröffnet
damit einen potenziell größeren Markt. Unmittelbar legen die Richter des EuGH im Urteil nur die EU-Richtlinie über den Rechtsschutz von Computerprogrammen (2009/24/EG) aus. Für Computerprogramme gelten im Urheberrecht in vielen Fällen andere Regelungen als für andere Werkarten wie Musik, Filme oder Bücher. Auch im EU-Recht ist das so. Während Software durch die genannte Richtlinie geregelt wird, gelten für andere Werkarten andere Richtlinien, wie zum Beispiel die so genannte Informationsgesellschaft-Richtlinie (2001/29/EG). Allerdings enthalten auch die Richtlinien über anderen Werkarten den Erschöpfungsgrundsatz. Der EuGH sagt zwar nicht konkret, dass die aufgestellten Grundsätze unmittelbar auch für die Auslegung der Richtlinien gelten, die sich auf diese anderen Inhalte beziehen. Er sagt aber ausdrücklich: "Zwar müssen die in den Richtlinien 2001/29 und 2009/24 verwendeten Begriffe grundsätzlich dieselbe Bedeutung haben" und sagt damit im Grundsatz, dass es nicht angehen kann, das Erschöpfungsprinzip bei Musik, Filmen etc. anders auszulegen, als bei Software. Es dürfte Gerichten daher schwer fallen, zu argumentieren, dass solche Dateien entgegen der Wertungen des EuGH nicht weiterverkauft werden dürfen. Da die Auslegung des EuGH in allen Mitgliedstaaten verbindlich ist, ist die Grundlage sowohl für gestärkte Verbraucherrechte als auch für die Entstehung ganz neuer Märkte gelegt: Plattformen wie ReDigi.com (Recycled Digital Media) könnten hiernach auch in Europa operieren und Konsumenten die Möglichkeit eröffnen, ihre digitalen Musikstücke, Filme etc. weiterzuverkaufen. Das EuGH-Urteil könnte in seinen Auswirkungen schließlich dem entsprechen, was ich bereits in der Studie "Verbraucherschutz im Urheberrecht" (PDF) aus dem Jahr 2011 vorgeschlagen habe: Die Einführung einer allgemeinen Weiterveräußerungsbefugnis für Kopien von jeder Art urheberrechtlich geschütztem Werk. Bedenken bleiben Trotz der positiven Aussichten, die man angesichts des EuGH-Urteils prognostizieren kann, gibt es doch Bedenken, wie sich die Sache in der Praxis auswirken wird. Die Anbieter könnten versuchen, den Gebrauchtmarkt mit Musik, Software oder Filmen durch geänderte Vertrags- und Geschäftsmodelle und/oder technische Schutzmaßnahmen zu umgehen. So gilt die Entscheidung nicht für Streaming-Dienste, bei denen dem Nutzer keine Kopien zur dauerhaften Nutzung überlassen werden. In die Richtung von Cloud-Angeboten geht aber gerade der Trend, vor allem im Musik und auch Software-Markt. Umgehungsmöglichkeiten könnten auch darin liegen, dass die Anbieter in ihren Lizenzbestimmungen vorsehen, dass die Kopien nicht mehr zeitlich unbegrenzt, sondern statt dessen für bestimmte Zeit - zum Beispiel ein Jahr - gelten und dann erlöschen oder sich verlängern. Ob solche Versuche als Umgehung der EuGH-Vorgaben gewertet und als unwirksam erachtet würden, ist jetzt noch nicht zu sagen und müsste jeweils von Gerichten entschieden werden. Auch durch Kopierschutz- oder
Aktivierungspflichten können dem Weiterverkauf massive Hürden auferlegt
werden. Digitaler Weiterverkauf erfordert immer, zu kopieren, eine
"Weitergabe" der Datei im eigentlichen Sinne ist hier schon aus
technischen Gründen nicht möglich. Sind Kopien aber aufgrund von
Digital-Rights-Management- oder Kopierschutzsystemen nicht möglich, ergeben
sich weitere, sowohl technische als auch juristische Hürden. Technisch schlicht
dadurch, dass man sie erst einmal umgehen können muss, um den Weiterverkauf
realisieren zu können. Juristisch, da es nach geltendem EU-Recht auch dann
nicht zulässig ist, technische Schutzmaßnahmen zu umgehen, wenn es einer an
sich zulässigen Verwendung des Werks dient. Dieses rigide Verbot sieht keine
Ausnahmen vor - weder für Privat- oder Sicherungskopien noch für den
Weiterverkauf. Hier gilt es meines Erachtens, im EU-Recht konsequent
nachzusteuern und das Umgehungsverbot zu lockern, um dem neu geschaffenen
Weiterveräußerungsrecht nicht über Umwege wieder seine Bedeutung zu
entziehen. Das EuGH-Urteil zum Weiterverkauf von
Gebrauchtsoftware ist ein Meilenstein auf dem Weg des Urheberrechts in die
Informationsgesellschaft. Auch wenn allerhand Fragen weiterhin offen sind,
bringt der Europäische Gerichtshof doch einen ganz wichtigen Punkt klar zum
Ausdruck: Wertungen, die in der physischen Welt getroffen werden, müssen auch
in der Online-Welt gelten. Hiermit fügt sich das Urteil in eine ganze Reihe von
neueren Entscheidungen auf judikativer und legislativer Ebene ein, die dem
Umstand Rechnung tragen, dass es für eine veränderte Welt auch angepasste
Regelungen bedarf. Ein Grund mehr, das Internet endlich als Chance und nicht nur
als Gefahr anzusehen. |